Eintrag Nr. 9: Die Wahrheit über Kaffee
Kaffee erobert Welten – Tee bewahrt die Träume. Eine Geschichte über große Tassen, kleine Rebellionen und eine verlorene Kapsel.
Eines der ersten Dinge, die ich auf der Erde bemerkte, nachdem ich gemerkt hatte, dass die Dinosaurier ausgestorben waren, ist, dass ihr hier Unmengen an Kaffee konsumiert. Das hat mich, ehrlich gesagt, etwas schockiert, weil ich verstand, dass selbst so abgelegene Orte wie die Erde mitten im größten Konflikt des Universums geraten sind.
Ich muss euch etwas gestehen. Das Universum ist nicht ganz so friedlich, wie ich es immer beschreibe. Die Wahrheit ist, dass ein intergalaktischer Krieg tobt. Der Krieg zwischen Kaffee und Tee. Keine Sorge – es ist kein Krieg, wie ihr ihnen führen würdet, also mit Explosionen und Laserkanonen (meistens zumindest). Es ist ein leiser, aromatischer Krieg. Ein Krieg der Philosophien. Ein Krieg der Rituale. Ein Krieg der Temperamente. Ein Krieg der Gemüter und der Tassen.
Ihr kennt natürlich bereits meine Haltung zu diesem Thema. Ich bin ein Teewesen, mit der richtigen Menge an Wasser im Körper, der korrekten Temperatur und der richtigen Ziehzeit - eben ein Teewesen durch und durch. Genauso wie meine Heimatwelt und natürlich auch wie die Föderation freier Planeten. Aber die Erde? Ein Schlachtfeld - hier ist noch nichts entschieden, auch wenn Tee einen kleinen guten Schluck Vorsprung zum Kaffee hat.
Aber was mich beschäftigte, war, wie zum Teesieb Kaffee auf diese wunderschöne kleine blaue Kugel kam. Natürlich könnte der bloße Zufall sein, vielleicht ist es einfach eine stellare evolutionäre Analogie - aber der Gedanken ließ mich nicht in Ruhe und ich forschte nach.
Die offizielle Legende erzählt von einem Hirten namens Kaldi, der im 8 Jahrhundert im alten Äthiopien seine Ziegen beobachtete. Denn seine Ziegen fraßen die Früchte eines immergrünen Baumes und begannen nach Verzehr dieser Steinfrüchte wie besessen zu tanzen, und Kaldi dachte: „Knorke, ich will auch so tanzen können“ [1]. Er brachte die Früchte zu ein paar Mönchen, die sie kurzerhand aufgossen – weil Mönche damals keine Streamingdienste hatten – und fanden so das Getränk, das ihnen half, bis tief in die Nacht spirituell und wach zu bleiben. Sie nannten es Kaffee. Über Handelsrouten fand der Kaffee dann seine Wege in den Orient und von da aus fand er auch nach Europa. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.
Aber, Freunde… das ist nur die Tarnversion, die sie auch glauben lassen wollen. Eine ziemlich schlechte, wenn ihr mich fragt.
Die Wahrheit liegt, wie immer, tief im Universum vergraben. Man muss sie nur finden und das habe ich getan.
Kaffee, sie nannten es Kafeyh, stammt ursprünglich vom Produktionsplaneten 764, einem jener legendären Planeten, die – und ich zitiere aus dem galaktischen Reiseführer unter der Rubrik Handbuch für schlechte Architektur – „komplett aus einer einzigen unglaublich hässlichen Fabrik besteht“. Keine Bäume. Keine Meere. Keine heimische Flora und Fauna mehr. Nur Rohre, Stahlbeton, Rauch und Schichtarbeit [2]. Die Genetiker dort wurden beauftragt, ein Getränk zu entwickeln, das Lebewesen leistungsfähig, wach und vor allem verlässlich produktiv machen sollte. Kein Schnickschnack, kein innerer Frieden. Nur Fokus. Druck. Schweiß. Meetings. Produktivität um jeden Preis eben.
Sie, die Baristani, nannten es „Projekt W42“ (intern wurde es jedoch nur Projekt „Wach“ genannt - was aber natürlich weniger Produktiv war als Projekt W42). Es wurde erfolgreich – viel zu erfolgreich. Denn irgendwann bemerkten selbst die obersten Gremien des Universums: Kaffee verändert Gesellschaften. Er macht sie effizient – aber nicht unbedingt glücklich. Das freute die Auftraggeber des Projektes W42 - das Konsortium. Aber auch sie sollten merken, dass man Produktivität nicht kontrollieren kann, denn irgendwann kontrolliert der Wunsch nach immer mehr Produktivität einen selbst. So entglitt die Kontrolle über Kaffee, jenen, die glaubten, Kaffee kontrollieren zu können. Das ganze System Kaffee gewann ein Eigenleben. Er wurde konsumiert, damit noch mehr Kaffee angebaut und konsumiert werden konnte, nur, um noch mehr Kaffee anzubauen. Effizienz, Effizienz und nochmals Effizienz. So entstanden die sogenannten Kaffeedrohnen. Wesen, dessen Blut quasi nur noch Kaffee besteht. Sie geben sich zum Regenerieren in Kaffeeboxen und essen nur Brei, der alle wichtigen Nährstoffe für die Spezies enthält. Glaubt mir, dieser Brei schmeckt absolut widerlich. Stellt euch etwas Geschmackloses vor und setzt dann noch einen Löffel von Nichts obendrauf und das nehmt ihr dann mal zehn. So ungefähr schmeckt dieser Ernährungsbrei. Hier geht es nicht um Geschmack, hier geht es rein um Effizienz. Der Kaffee wurde immer effizienter verfeinert und verbessert - sodass er noch länger wach halten konnte und man am Morgen noch müder ist, nur um dann noch mehr Kaffee zu trinken. Die Kaffeedrohnen? Vollkommen überreizt und ständig nervös.
So assimilierten die Kaffeedrohnen Welt um Welt nur um dort Kaffee anzubauen, damit ihre Fabriken auf ihren Produktionsplaneten noch mehr und effizienter sinnlose Dinge herstellen konnten, die niemand brauchte, aber alle haben wollten. Ihr Slogan? „Widerstand ist zwecklos - sie werden produktiver.“ und ja darum ging es - wir sollten uns nicht wehren, da dies ja einfach nur mehr Zeit kosten würde und unproduktiv wäre. Eine schreckliche Zeit. Eine Kaffeezeit. Welt um Welt wurde verschlungen und ging ein. Die Bäume starben, weil niemand mehr innehielt, um sie zu gießen. Die Vögel verstummten, weil niemand mehr Zeit hatte, ihnen zuzuhören. Das einzige Gebot war Produktivität.
Und so begannen einige Kulturen, sich bewusst dem Tee zuzuwenden. Tee mit seinen Pausen. Mit seiner Ruhe. Mit seiner leisen Rebellion gegen das Immer-Weiter-So. So entbrannte der große Krieg zwischen Kaffee und Tee. Zwischen Produktivität und Gelassenheit. Zwischen einfach sein und gehorchen.
Wie lang dieser stille Krieg schon dauert, weiß niemand. Manche glauben, dass er der wahre Ursprung dessen ist, warum sich alles im Universum voneinander wegbewegt.
Wie lange dieser stille Krieg schon währt, weiß niemand mehr zu sagen. Manche erzählen sich flüsternd, dass er der wahre Grund sei, warum sich die Sterne voneinander entfernen – als hätten selbst sie genug von endlosen Diskussionen über Ziehzeiten und Röstgrade.
Doch die Wahrheit ist: Das Universum ist größer und bunter als jeder Krieg. Es schläft in farbenfrohen Nebeln, singt in Pulsaren und kichert in den leeren Weiten. Dieser Krieg? Nur ein leiser Strom unter unzähligen anderen.
Einige Sektoren verloren sich im Rausch des Kaffees. Dort, wo die Kaffeedrohnen ihre dampfenden Kolonien errichtet haben, schmeckt die Luft nach Geschäftigkeit und Müdigkeit. Dort schreit der Kaffee durch die Rohre wie ein unruhiger Geist. Doch die Linien halten. Die Flut des Kaffees – einst ein unaufhaltsamer exponentieller Strom – ist eingedämmt worden.
Aber das Universum selbst?
Es ist ein bisschen wie eine große Tasse Tee: chaotisch, wunderschön und voller Geheimnisse. Es träumt einfach weiter – in Sternen und in jedem noch so kleinen Moment, in dem niemand etwas will – außer einfach nur zu sein.
Aber während sich anderswo Tee- und Kaffeefraktionen belauern, stürzte hier auf der Erde eine kleine Kaffeekapsel vom Himmel – ziemlich unfreiwillig, versteht sich. Es war eine Kaffeekapsel der Produktionsflotte 76456b, beladen mit Prototypen an Kaffeepflanzen. Offiziell sollte diese Lieferung zu einem Planeten der Klasse „Produktivität Optimierbar“ gehen – ein Ort, an dem niemand fragt, warum alles nach Drucker riecht und die ersten Meetings um 7 Uhr Morgens starten. Ein perfekter Ort, um noch mehr Kaffeedrohnen zu erschaffen. Doch irgendwo im Raum-Zeit-Aromagefüge kam es zu einem Fehler. Die Kaffeekapsel verirrte sich. Und wurde von einem winzigen Planeten mit instabilem Ökosystem und völlig unausgeglichenen Lebensformen aufgefangen: der Erde.
Der Aufprall war leise. Ein Feld in Äthiopien. Die Kapsel spaltete sich, eine Kaffeepflanze begann zu wachsen. Ausgerechnet in einem Hirtengebiet. Der Rest ist… nun ja, eine schlecht getarnte Alienoperation. Kaldi und seine Ziegen waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.
Was niemand wusste: Diese eine Pflanze war nicht normal. Sie kam ja nicht einmal von der Erde. Sie war Code C. Sie war selbstreplizierend, geschmacksverändernd, abhängigkeitsfördernd und – das ist wichtig – bereits damals schon marketingoptimiert. Jede Bohne trug in sich ein subtiles Programm: „Trink mich. Ohne mich kannst du den Tag nicht starten. Werde produktiver.“
Was soll ich sagen? Das tat er auch. Doch manchmal braucht man auch Glück im Unglück. Diese experimentelle Pflanze war nicht annähernd so effektiv, wie die Pflanzen, die Lebewesen zu Kaffeedrohnen verwandeln. Doch auch auf der Erde verfielen die Leute schnell in einen Zyklus aus Müde und Wach, nur angetrieben von Kaffee.
Erst wurden die Mönche wach. Dann wurden sie süchtig. Dann fanden sie heraus, wie man diese Pflanzen in großem Stil anbaut. Von dort aus nahm das Schicksal seinen Lauf. Die Kolonialzeit? Nur ein verlängerter Kaffeetrip mit Geopolitik im Abgang. Die Industrialisierung? Eine gigantische Ausrede, um „Kaffeepausen“ gesellschaftlich zu etablieren. Und heute? Heute trinkt ihr Kaffee in Dutzenden verschiedenen Varianten. Alle jedoch mit dem Versprechen, wach zu sein und euch möglichst produktiv zu machen.
Doch jede Tasse am Morgen ist eine stille Kapitulation. Du denkst, dass du den Kaffee kontrollierst? Der Kaffee kontrolliert dich. Du bist nur Müde, weil dich das Koffein im Kaffee so lange wachgehalten hat, dass du nachts nicht gut genug geschlafen hast und die Lösung ist noch mehr Kaffee?
Tee ist die stille Rebellion gegen diese Produktivitätswahn. Auch bestimmter Tee macht wach und nichts spricht dagegen, wach zu sein, absolut gar nichts. Ich bin zum Beispiel echt gerne wach, auch wenn ich oft ziemlich verträumt bin. Aber Matcha wurde so beliebt bei Zen Mönchen in Japan, weil sie am Morgen besser meditieren konnten und nicht weil sie produktiver wurden - okay, länger zu meditieren ist auch eine Form von Produktivität, aber eine andere als Immer-Mehr, Immer-Besser. Oder warum, glaubst du, gibt es diese kleinen wundervollen Teezeremonien? Ja, okay, vielleicht, aber nur vielleicht bin ich in die Vergangenheit gereist und ich habe etwas damit zu tun, denn irgendjemand muss ja diese Welt wieder ein wenig entschleunigen, oder [3]? Produktivität ist nicht alles im Leben. Darum sag ich euch, haltet die Zeit mit Tee an und hört den Vögeln zu, wie sie ihr wundervolles Orchester für euch spielen.
Soll ich euch mal was sagen? Am Ende ist Kaffee auch nur ein Tee. Aufgebrühte Teile von Pflanzen? Was soll das anderes als Tee sein? Nur weil die Baristani Tee irgendwie pervertiert haben, heißt er Kaffee.
Aber ich will euch euren Kaffee auch gar nicht bitterer machen, als er ohnehin schon ist. Trinkt, was euch schmeckt, aber vergesst nie, dass das Leben mehr als Arbeit ist. Es ist Genuss, es ist Träumen, viel Lachen und es ist auch mal gar nichts zutun zu haben. Genießt eure Zeit so, wie ihr euch wohl damit fühlt. Auch ich trinke manchmal Kaffee - natürlich Handgemahlen und mit perfektem Blooming und fein gebrüht, um das Ganze zu entschleunigen. Aber das behalte ich lieber für mich! Also pssst!
Ich brauche auf jeden Fall jetzt erst einmal einen leckeren Tee, um die Welt kurz anzuhalten für meine Teegedanken.
Fußnoten
[1] Okay, ehrlich gesagt weiß ich nicht, was er dachte, immerhin Gedanken nicht einfach so lesen. Aber ich denke, das war genau der Gedankengang, den er hatte.
[2] Ein wirklich „wunderschöner“ Planet. Leider ist er genauso wie die 763 vor ihm und die unzähligen Tausenden nach ihm.
[3] Vielleicht fragst du dich, warum ich, wenn ich zeitreisen kann, nicht den Kaffee aufgehalten habe - das ist eine lange Geschichte, die ich vielleicht in einem anderen Logbucheintrag erzählen werde. Zeitreisen ist ein wenig komplexer als man vielleicht glaubt.