Eintrag Nr. 8: Wobbel-Dobbel und das Problem mit dem Reichtum
Ihr arbeitet für Zahlen auf Bildschirmen – der Wobbel dagegen tanzt lieber durch Tentakel. Ein Blick auf das seltsamste Geldwesen der Galaxis.
Was offenbart den wahren Charakter eines Menschen am deutlichsten, je mehr er davon besitzt? Richtig: Geld. Auf der Erde sagt man gern: „Geld verdirbt den Charakter.“ Seit ich hier bin, glaube ich jedoch: Geld verdirbt nichts. Es macht nur sichtbar, was längst da war – manchmal lange Zeit gut versteckt.
Aber fangen wir ganz von vorne an. Als ich hier… ich würde noch immer sagen, unfreiwillig gelandet bin, musste ich mich an so einige Dinge gewöhnen. Einige davon waren recht logisch und nachvollziehbar und wiederum andere waren selbst in meinen kühnsten Fantasien nicht vorstellbar. So auch eurer Geldsystem. Ihr Menschen seid manchmal wirklich eine seltsame Spezies. Ich glaube, ihr seid wirklich einer der wenigen, die es geschafft haben, sich immer wieder mit neuen Methoden selbst zu verarschen. Sklaverei, Feudalismus und nun besitzt euch das Geld oder vielmehr die Vorstellung von Geld. Vielleicht ist es auch nur meine seltsame Außenwahrnehmung auf euch, aber ich habe das Gefühl, dass ihr Menschen ziemlich fixiert auf Geld seid. Ihr geht sechs bis zwölf Stunden eures Tages dafür arbeiten, führt Kriege deswegen, schlagt euch gegenseitig die Köpfe ein und merkt dabei nicht mal, dass ihr wieder im Feudalismus lebt, bei dem die Armen am meisten Steuern zahlen und den oberen wenigen super Reichen einfach alles gehört. Eure Demokratien werden von Leuten mit richtig richtig richtig richtig viel Geld zerstört, die mehr Geld als ganze Staaten haben und ihr streitet immer noch darum, wie viel man den Ärmsten der Armen abnehmen kann, damit sie wieder arbeiten gehen. Dann kauft ihr Dinge, die ihr ganz sicher eigentlich gar nicht braucht, nur um zu zeigen, dass ihr nicht arm seid und zeigt damit eigentlich nur, wie sehr euch der Gedanke an Armut im Griff hat. Alles ein wenig verwirrend für mich. Aber vielleicht hat das Ganze ja einfach ein System – nur dass ein außenstehendes Alien wie ich es bin, es einfach nicht erkennen kann. Wenn ja, dann schreibt mir gern.
Aber ihr kennt mich. Ich habe mich auf die Suche gemacht, was eigentlich passiert ist und wie ihr an diesen seltsamen Punkt geraten sind.
Geld ist auf der Erde vor rund 4500 v. Chr. im alten Mesopotamien entstanden, und daran sind die Menschen tatsächlich selbst schuld – also zumindest fast (ein paar interstellare Einflüsse lassen wir mal außen vor – davon kann ich gerne in einem anderen Logbucheintrag erzählen). Aber die Yibru hatten wohl den größten Einfluss auf die Menschheit, und deswegen dürfen sie hier nicht unerwähnt bleiben. Die Yibru, eine ziemlich auf Handel und Geld fixierte Gesellschaft, machten die Erde als lukrativen neuen Markt aus.
Auch wenn die Menschen noch nicht selbst raumfahrend waren, gab es auf der Erde allerlei schöne Dinge, die für Warp-Zivilisationen von großem Interesse waren – darunter Metalle, fermentierter Yuntaan-Tee (heute leider aus Lizenzgründen nicht mehr auf der Erde erhältlich – die Yibru verwenden ihn übrigens als Haarpflegeprodukt – obwohl sie gar keine Haare haben) und natürlich: Edelsteine.
Die Yibru jedenfalls begannen still und heimlich den Handel mit der Erde. Anfangs tauschten sie nur Kleinigkeiten – ein winziges Stück funkelndes Starlithium gegen zehn Kamele oder einen besonders glänzenden Obsidian gegen das Erstgeborene eines lokalen Königs.
Die Menschen waren begeistert: Die Götter, dachten sie, hätten sie – und nur sie – erwählt.
In Wirklichkeit wurde die Erde einfach als „galaktischer Sonderpostenmarkt“ geführt, um all den Ramsch loszuwerden, den niemand mehr kaufen wollte.
Irgendwo zwischen „kurz vor Bronzezeit“ und „stark ausbaufähig“ war die Erde ein beliebtes Ziel für Weltraumkaffeefahrten – inklusive kostenloser Proben von rückenschonenden Antigravitationsgurten, Universal-Heilkräutern (die vor allem Noppenausfall bei Tentakelwesen stoppen sollten) und dem berühmten Starlithium Putzmittel mit Minzgeschmack.
Und weil die Yibru eine Vorliebe für Ordnung hatten – und für Besteuerung –, brachten sie den Menschen beiläufig bei, wie man Besitz in Zahlen fasst. Zack – das Geld war geboren. Die Yibru nahmen Steuern ein, mit Geld, das sie selbst erfunden hatten, und bezahlten dann wiederum die Menschen mit dem Geld, das sie durch Steuern eingenommen hatten. So bekamen die Yibru alles, was sie wollten – und das mit fiktiven Münzen aus Billigmetallen.
Man sagt, der erste Buchhalter der Menschheit war ein gewisser Ib-Ra-K’arl, der bei den Yibru nur als „der, der fast so gierig wie wir ist“ bekannt war.
Die Steintafeln seiner Buchhaltung wurden später von Menschen als religiöse Texte fehlinterpretiert. Kein Wunder, dass bis heute niemand so richtig weiß, was eine ›faire Besteuerung‹ eigentlich sein soll – und ob sie überhaupt existiert oder nur ein Tippfehler im System war.
Was mich fasziniert: Eure Geldsysteme haben sich weiterentwickelt – und gleichzeitig sind sie einfach stehen geblieben. Die Münzen wurden zu Scheinen, die Scheine zu Karten, die Karten zu Zahlen in einer App. Am Anfang war euer Geld zumindest mit Gold gedeckt, bis jemand auf die Idee kam, Fiatgeld – also „Es werde Geld“ und nicht so etwas wie „Es ist Geld“ – einzuführen. Seitdem ist das Geld nur noch das wert, auf dem es gedruckt wurde - sofern es überhaupt noch gedruckt wird.
So arbeitet ihr am Ende noch immer für etwas, das eigentlich gar nicht da ist: Zahlen auf einem Bildschirm, gespeist durch Erwartungen, Angst und Hoffnung.
Und Schulden – unfassbar viele Schulden. Ihr verschuldet euch mit Dingen, die nur den Glauben ans System als Gegenleistung haben, und spart lieber daran, eure Infrastruktur auszubauen, die Bildung zu fördern und die unzähligen Probleme der Menschheit zu lösen! Wenn ich das im interstellaren Finanzrat erzählen würde, würden sich die Fluffarianer ihre sieben Bäuche halten und sich wund lachen – und dabei sind die Fluffarianer für ihre Humorlosigkeit gefürchtet.
Aber ich schweife ab. Ich wollte eigentlich nur fragen: Warum nennt ihr es „verdienen“, wenn ihr doch alle eigentlich so unendlich viel mehr verdient als das, was ihr bekommt?
Natürlich lebt das Universum nicht gänzlich ohne Geld. Die große Föderation freier Planeten, zu der auch meine Welt gehört, benutzt untereinander gar kein Geld – dennoch haben wir natürlich so etwas wie Geld, um mit anderen zu handeln.
Doch wir sind das Ganze etwas anders angegangen als ihr. Wir haben uns im ganzen Universum auf eine einzige Währung geeinigt. Glaubt mir: Das war ein riesiges Tanzbattle. Aber am Ende hat sich ein – sagen wir – interessantes System durchgesetzt: der Wobbel.
Der Wobbel ist jedoch nicht einfach nur Geld, wie ihr es kennt – er ist ein eigenes Ökosystem. Und das meine ich nicht im übertragenen Sinne.
Der Wobbel ist ein lebendiges Wesen, das aus vielen kleinen Einheiten besteht – ein bisschen der Snickel des Geldsystems. Nur weniger lecker.
Das Spannende ist: Je mehr Wobbel man besitzt, desto mehr langweilen sie sich – desto eher hauen sie einfach ab. Niemand kann Wobbel horten, denn damit verliert man alles. Man muss sie ausgeben. Denn Wobbel lieben es, durch viele Hände/Jbunis/Tentakel/Plasmaschwingen/Flügel/elektrische Njam – oder was auch immer ihr habt – zu tanzen. Und sie lieben es, neue Orte zu besuchen.
Ein Hin-und-zurück-Tauschen mag kurze Zeit funktionieren, aber glaubt mir: Die Wobbel sind schneller weg, als ihr „Wobbel-Dobbel!“ sagen könnt (was übrigens so viel heißt wie: »Ein Wobbel kommt lieber allein«).
Ein Wobbel kann sich übrigens auch aufspalten – was oft notwendig wird, wenn kleinere Einheiten gebraucht werden. Aber keine Sorge: Die Wobbel sterben dabei nicht. Die Untereinheit eines Wobbels ist ein Wobb, und die Untereinheit eines Wobbs ist ein Wo. Ein Wobbel besteht aus genau 314 Wobb, und ein Wobb besteht aus 159 Wo. Für manche Spezies mögen das krumme Zahlen sein – aber ehrlich gesagt sind es die einzig logischen Zahlen, um Piraten aufzuhalten. Denn diese können einfach nur Pi raten. Und damit können sie das Geld nicht anfassen. Klingt albern? Ist aber wirklich hilfreich. Denn glaubt mir: Piraten sind ein ernsthaftes Problem im Universum. Und jetzt erst recht – wegen der Schokoladen von Proxima VII. Falls ihr euch fragt, was das ist – schaut in meinen Eintrag Nr. 7: Bist du schon ein Snickel oder isst du noch?
Leider sind Piraten oft ziemlich gute Tänzer. Stellt euch doch nur ein Piraten-Faultier vor! Ihr seid komplett ausgeraubt, noch bevor eure Enkelkinder Enkel haben – und sitzt dann nackt vor der epischsten Tanzeinlage, die ihr vermutlich je gesehen habt. Immerhin bekommt ihr einen Tanz als Ausgleich. Aber eure Wobbel werdet ihr vermutlich trotzdem noch immer haben.
Außer, ihr habt zu viele Wobbel bei euch – dann habt ihr vermutlich bald keine mehr. Doch wie viele sind zu viel? Da Wobbel ein eigenes, denkendes Ökosystem sind, passen sie sich von selbst daran an. Niemand sollte unglaublich viel mehr besitzen, als man für ein richtig gutes Leben braucht.
Man könnte jetzt denken: Irgendwann gibt es doch gar keine Wobbel mehr, weil sie alle abgehauen sind. Aber das ist zum Glück nicht der Fall.
Solltet ihr mal eine Zeit lang wirklich wenig Wobbel haben, dann kommen freilaufende Wobbel einfach zu euch, oder sie vermehren sie sich – solange, bis ihr wieder so viele habt wie der Durchschnitt. Jetzt fragt ihr euch: »Aber kann ich nicht einfach einen einzelnen Wobbel verstecken, und er vermehrt sich dann von selbst?« Ja… und nein. Das System kennt euch. Es weiß, wie viele Wobbel ihr insgesamt habt. Ihr seht also: Das System Wobbel kann man nicht so einfach austricksen – auch wenn es natürlich immer wieder versucht wird.
Vielleicht sagt ihr: All diese Wobbel, Wobb und Wo mit sich herumzutragen ist doch etwas umständlich, oder? Immerhin sind die Kleinen recht aktiv beim Herumspielen. Aber keine Sorge, an alles wurde gedacht. Die Wobbel leben in Paralleluniversen – und jedes Wobbel-Vermögen in seinem eigenen.
Sonst wären Dinge wie Banken ja auch gar nicht vorstellbar. Wenn ihr bezahlt, öffnet ihr einfach ein kleines Portal in eure Wobbelwelt, und die Wobbel tanzen ins Paralleluniversum des anderen. Schon ist die Transaktion abgeschlossen. So kann man auch quantendigital zahlen – ganz ehrlich: Leichter geht es nicht.
Aber wisst ihr, was das Beste ist? Wobbel sind richtig gute Zuhörer, tolle Geschichtenerzähler, grandiose Tänzer – und sie haben verdammt schicke Frisuren. Denn Wobbel lieben Frisuren fast so sehr, wie durch viele Hände/Jbunis/Tentakel/Plasmaschwingen/Flügel/elektrische Njam zu tanzen.
Aber ihr haltet das alles für verrückt? Dann habt ihr noch nie euer Geldsystem von außen betrachtet. Ich ziehe den Wobbel eurem definitiv vor – und das Handeln aus der intrinsischen Motivation heraus, dass es allen besser geht und alle gemeinsam vorankommen, finde ich noch ein Ticken besser. Vielleicht tretet ja auch ihr irgendwann der Föderation bei.
Aber am allerbesten ist natürlich: einfach Tee trinken und mit einem breiten Lächeln durch die Welten reisen.
In diesem Sinne: Denkt immer daran, dass ihr alle eigentlich mehr verdient.
Außer, ihr habt so ein paar Milliarden auf eurem Konto – dann steht jetzt bitte auf und rettet damit die Welt. Keine Ausreden. Wenn die Energie, die derzeit dafür aufgebracht wird, Menschen an Apps zu ketten und das Vermögen weniger zu vermehren, stattdessen dafür genutzt würde, die Welt besser zu machen…
Die Erde wäre vermutlich ein einziges Paradies.
Mit viel mehr Tee.
Fußnote
[1] viermal „richtig“ ist galaktischer Standard