Eintrag Nr. 4: Ein Nilpferd, ein Rätsel, eine Tasse Tee und 7000 Sprachen später

Wie ein fliegendes Nilpferd, eine Tasse Tee und ein unlösbares Rätsel zur babylonischen Sprachverwirrung führten – und warum die Menschheit so viele Sprachen spricht. Eine humorvolle Geschichte über Tee, Wörter und Missverständnisse.

Heute soll es um etwas gehen, was mir persönlich ziemlich wichtig ist. Nein, keine Sorge, es geht nicht um Tee. Na gut, okay, vielleicht geht es ein bisschen um Tee. Aber heute soll es vor allem um Sprache gehen – und darum, warum überhaupt so viele verschiedene Sprachen auf diesem Planeten gesprochen werden.

Als ich damals hier auf der Erde gelandet bin, musste ich natürlich, nachdem ich endlich die richtige Verkleidung gefunden hatte, die menschliche Sprache lernen. Zu meiner Verwunderung – und auch ein bisschen zu meiner Bestürzung – stellte sich schnell heraus, dass es nicht DIE eine menschliche Sprache gibt. Dass verschiedene Spezies auf einem Planeten unterschiedliche Sprachen sprechen, ist mir nicht fremd. Aber dass ein Planet gleich über 7.000 verschiedene Sprachen brauchen soll? Das war selbst für mich überraschend.

Übrigens: Bei meinem Absturz (wir nennen absolut geplante Landungen nur so, damit sie dramatischer klingen) hatte ich die Wahl, ob ich meinen Universalübersetzer oder meine Lieblingsteetasse rette. Sagen wir es so: Wie sich später herausstellte, kann man mit einer Teetasse deutlich weniger Wörter entziffern als mit einem Universalübersetzer – aber der Tee schmeckte immerhin hervorragend. Irgendwie muss ich das ja vor mir selbst rechtfertigen.

Ohne meinen Universalübersetzer musste ich feststellen, dass das Erlernen neuer Sprachen eine Reise voller Überraschungen und unerwarteter Freuden ist. Die Vielfalt und Einzigartigkeit der menschlichen Sprachen bleibt dennoch atemberaubend – fast so, als würde jede von ihnen ihre eigene Geschichte erzählen wollen. Bedenkt man, dass es sogar bei den Khoisan Klick- und Schnalzlaute gibt, wie ich sie nur von den !Xoon [1] vom Planeten ǃXóõ (bitte mit einem Klicklaut aussprechen) kenne. Oder das Ubychische, das rund 80 Konsonanten und nur zwei Vokale kennt. Beim Mazatekischen kommunizieren Menschen über weite Strecken mit Pfeiflauten, und wo wir schon beim Pfeifen sind – wo sonst gibt es zwitschernde, melodische Tonhöhen wie im Vietnamesischen?

Okay, natürlich noch auf Chim bei den Ca’sĩ! Aber wenn man bedenkt, dass viele heute oft nur an sich selbst denken, könnte ein Blick auf die Sprache der Khmer inspirieren. Dort gibt es rund 100 Arten, „ich“ zu sagen – und doch heißt das nicht, dass sie nur an sich selbst denken.

All das, und noch so unendlich viel mehr, auf einer einzigen Welt von nur einer Spezies? Einfach fantastisch! Diese Vielfalt ist ein Beweis dafür, wie einzigartig und kreativ die Menschheit ist – trotz aller Widersprüche.

Wenn ich mal wieder beim Intergalaktischen Sprachinstitut bin, werde ich ihnen von der Erde und ihren rund 7.000 Sprachen erzählen. Ich kann es kaum erwarten, ihre Gesichter zu sehen! Sie werden mich vermutlich zuerst auslachen – bis ich ihnen das Wort „Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz“ präsentiere. Dann werden sie sicher verstummen.

Als ich das erste Mal auf dieses deutsche Wort stieß, dachte ich, ich hätte das gesamte Werk eines bedeutenden Dichters gefunden. Ich war begeistert! Doch nein – es war nur ein einziges Wort. Ein einziges! Dann stolperte ich über das finnische lentokonesuihkuturbiinimoottoriapumekaanikkoaliupseerioppilas und erkannte, was los war: Menschen lieben es scheinbar, Rätsel in Wörter zu stecken. Und das ist doppelt ironisch, denn ohne ein bestimmtes Rätsel gäbe es gar nicht diese vielen Sprachen. Aber wie ihr mich kennt, konnte ich natürlich nicht widerstehen und folgte der Spur. Das Rabbithole, in das ich eintauchte, war allerdings tiefer, als ich erwartet hatte.

Wie so oft stellte sich heraus, dass die Wurzeln dieses Sprachenwirrwars nicht allein auf eurem Planeten lagen. Mal wieder war ein galaktisches Ereignis der Auslöser. Dieses Mal war es die Schuld eines alten Bekannten von mir – Fred, das weise Spacenilpferd. Fred war Betreiber einer intergalaktischen Teestube (einer der besten), Hobby-Philosoph, Rätselsteller und, wie ich herausfinden musste, Urheber der babylonischen Sprachverwirrung.

Fred liebt Tee, Rätsel und alles, was irgendwie schwer zu erklären war. Sein Lieblingssatz? „Das perfekte Wort ist wie der erste Schluck Tee am Morgen: kraftvoll, aber unaussprechlich.“ Ihr glaubt mir nicht? Dann seid ihr wohl eine превысокомногорассмотрительствующий, was so viel bedeutet wie „eine extrem sorgfältig abwägende Person“. Aber lasst mich von vorne anfangen.

Die Menschheit sprach einst nur eine Sprache – das war ziemlich praktisch. Sicher fragt ihr euch, welche Sprache denn nun eigentlich damals gesprochen wurde. Es war eine Art Protosprache, deren Name mir nicht bekannt ist – sie hieß einfach nur „Die Sprache“. Eigentlich logisch, oder? „Die Sprache“ wurde solange gesprochen, bis eines Tages eine fliegende Schildkröte, auf der sich eine Teestube befand, am Himmel erschien.

Ja, richtig gelesen: eine Teestube, auf einer Schildkröte. Oder kennt ihr einen besseren Ort für eine Teestube? Ich zumindest nicht. Menschen sind neugierig, und genau das liebe ich so an ihnen. Also begannen sie, einen gigantischen Turm zu bauen, um Fred und seine Teestube zu erreichen. Kam eigentlich niemand auf die Idee, eine Briefschildkröte hochzuschicken? Fred hätte sicherlich freundlich geantwortet – vermutlich mit einer Einladung und einem Rätsel wie:
„Was ist rund wie eine Teekanne, schwer wie ein Stern und süß wie ein Zimtschneckenplanet, der von Schnabeltieren geliebt wird?“

Und ich sage euch: Die Menschen hätten bis heute gebraucht, um herauszufinden, dass Fred einfach nur über seinen Lieblingstee sprach – wie eigentlich fast immer.

Als sie nach Jahren des Baus oben ankamen, stellte Fred aber sein absolutes Lieblingsrätsel. Er versprach den Menschen eine perfekte Tasse Tee, die jeden Wunsch erfüllen würde, wenn sie ihm das perfekte Wort brächten. Ein Wort, das universell alles ausdrückt, was man fühlen, denken oder wissen kann.

Eine Finnin hätte diese Aufgabe vielleicht epäjärjestelmällistyttämättömyydelläänsäkäänköhän genannt. Ein Japaner hätte gesagt: 夢のまた夢, was schon fast poetisch klingt, denn es bedeutet „ein Traum innerhalb eines Traums“. Aber wovon träumt wohl ein Traum? Manche hätten vielleicht abgelehnt, Fred einen Wortvorschlag zu machen, einfach einen leckeren Tee getrunken und wären dann nach Hause gegangen.

Aber nein, natürlich nicht die Menschheit. Kein Rätsel ist groß genug, um es nicht zu lösen. Das haben die Menschen mit meiner Spezies tatsächlich ziemlich gemeinsam. Denn jedes Rätsel hat es verdient, gelöst zu werden. Und seien wir mal ehrlich: Das Angebot war einfach zu verlockend.

Die Aussicht auf einen Wunsch, egal welcher das wäre, war der ultimative Anreiz. Und die Menschen legten sich so richtig ins Zeug. Welchen Wunsch hättest du dir gewünscht? Eine magische, immer volle Teekanne vielleicht? Oder einmal alle Tees der Galaxis kosten? Aber egal, welchen Wunsch – schon allein die Möglichkeit war Verlockung genug.

Doch niemand, nicht einmal Fred, hätte ahnen können, welche Ausmaße diese Aufgabe annehmen würde. Nach dem Prinzip des Gefangenendilemmas arbeiteten die Menschen zunächst gemeinsam daran, das perfekte Wort zu finden. Doch schnell erkannten sie, dass zu viele Köche den Tee verderben. (Das Sprichwort ist übrigens eine witzige Anekdote, die ich euch bei Gelegenheit mal erzählen werde.)

Wo war ich? Ach ja. Es bildeten sich also zwei große Fraktionen: die Kurzwort-Gruppe, die sagte: „Effizienz ist alles! Ein kurzes Wort, ein Universum.“ Und die Langwort-Gruppe, die antwortete: „Nein! Präzision ist alles! Ein Wort, ein ganzes Buch!“ Und so stritten sich diese beiden Gruppen um die richtige Antwort.

Ehrlich gesagt, finde ich beide Ansätze verwirrend. In meiner Teesprache können wir schließlich alles mit Tee erklären. Das ist simpel, effizient und lecker zugleich. Wo wir schon dabei sind: Ihr wollt wissen, welche Sprache eigentlich Fred sprach? Natürlich sprach Fred Saterfriesisch – eine Sprache, die von nur noch etwa 1.500 Menschen gesprochen wird und laut Fred „perfekt für Teetrinker“ ist.

Immer wieder traten die Gruppen vor Fred, und immer wieder scheiterten sie. Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate, aus Monaten Jahre. Die Gruppen isolierten sich immer weiter und tüftelten an immer neuen Wörtern, Buchstaben und Zeichen. Selbst die beiden großen Gruppen zerbrachen schließlich in immer kleinere Grüppchen, die in völliger Isolation weiterarbeiteten.

Die Angst davor, dass eine andere Gruppe vielleicht das perfekte Wort finden könnte, führte dazu, dass sie eigene Geheimsprachen entwickelten. Und was soll ich sagen? Es funktionierte. Aber es funktionierte zu gut. So entstanden die ersten unterschiedlichen Sprachen.

Als die unzähligen Gruppen schließlich wieder aufeinandertrafen, waren sie so sehr in ihre Geheimsprachen vertieft, dass sie sich einfach nicht mehr verstanden. So gar nicht mehr.

Da sich die Gruppen nun nicht mehr richtig verständigen konnten, wurde die Wartung des Turms fast unmöglich. Nachdem der Turm immer mehr einstürzte und niemand mehr willens war, auch nur einen Teil zu pflegen, zogen die ersten Gruppen weg. Andere folgten und wurden anderswo sesshaft. Viele versuchten weiterhin – manche im Geheimen [2] – das perfekte Wort zu finden. So wurde die Hoffnung zur Legende, und der Turm zu Babel zu einer Geschichte unter vielen.

Und Fred? Der wurde vergessen. Ohne Gäste, die seine Weisheiten oder seinen Tee zu schätzen wussten, packte Fred seine Teekannen und verschwand. Aber nicht ganz. Kennt jemand das Wort für die Angst vor langen Wörtern? Sesquipedalophobie? Nein, das wirklich echte Wort dafür: Hippopotomonstrosesquippedaliophobie! Und das für die Angst vor kurzen Wörtern? Hippopobrevisphobie! Zufall, dass sie mit dem Wort Nilpferd beginne? Wohl kaum.

Fred hat vielleicht nie das perfekte Wort gefunden, aber er hat etwas viel Wichtigeres geschaffen: die Grundlage für unzählige Sprachen – und noch mehr Missverständnisse. Und ganz ehrlich? Genau das liebe ich so an der Menschheit. Wo sonst gibt es Wörter wie meervoudigepersoonlijkheidsstoornissymptomenonderzoek, Pneumonoultramicroscopicsilicovolcanoconiosis oder Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänskajütenmöbeldesign? Eben – nur hier auf der Erde!

Und so entschied ich mich, meine eigene kleine Wortkomposition zu schaffen. Eine Hommage an die Rätsel, den Tee und all die kleinen wundervollen Gedanken: Teegedanken.


[1] Ein ziemlich fortschrittliches Volk mit einem leckeren Nǁng-Tee, der – wenn man ihn richtig zubereitet – erstaunlich stark nach heißer Schokolade mit Sahne schmeckt. Ein wahrer Genuss für Teeliebhaber im gesamten Universum!

[2] Oder was glaubt ihr, was die Freimaurer (früher hießen sie eigentlich „Freds Maurer“ und waren am Bau des Turms zu Babel beteiligt) die ganze Zeit machen? Sie glauben, dass das heilige Wort in Stein gemeißelt ist. Allerdings haben sie es längst aufgegeben, mit Menschen außerhalb zu kommunizieren. Stattdessen nutzen sie jetzt Morsesteine – weil Worte ja viel zu riskant wären.

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