Eintrag Nr. 10: Von Zügen, Raupen und temporalen Verschiebungen
Ein Logbuch-Eintrag über Züge, temporale Verschiebungen und die seltsamen Herausforderungen des Bahnfahrens auf der Erde. Ein humorvoller Blick auf verpasste Verbindungen, kosmische Missgeschicke und die Frage, warum selbst Raupen auf fernen Monden pünktlicher sind.
Diesen Eintrag schreibe ich in einem eurer wundervollen, sauberen und fast leeren Zügen [1]. Einem Zug, der zu spät ist, einem Zug, der gar nicht fahren dürfte, weil er ausgetauscht worden ist und einem Zug, der vor mehr als einem Monat ausgefallen ist. Sogar meine Platzkarte schien vergessen zu haben, wo mein Platz eigentlich ist [2].
Versteht mich nicht falsch – ich mag Züge. Wirklich. Sie sind bequem, schonen die Umwelt, und wenn sie funktionieren, sind sie eines der besten Verkehrsmittel, die ich auf diesem Planeten kenne. Wenn sie denn funktionieren. Wenn sie das nicht tun, sind sie immerhin ein guter Ort für Geschichten. Nicht nur meine eigenen, sondern auch die von vielen fremden Menschen, die alle in der gleichen, leicht gereizten Situation sitzen.
Warum ist die Bahn gerade in Deutschland so ein Reinfall? Warum ist sie so frustrierend? Und warum zum Teehaufen ist diese Bahn so wahnsinnig teuer? Von einem einzigen Zugticket könnte ich mir auf meinem Heimatplaneten locker ein kleines Teehäuschen kaufen. Okay, vielleicht nicht ganz, aber die Wobbel für ein Teehäuschen sind nicht so viele, wie ihr vielleicht denken mögt.
Ich würde euch gerne erzählen, dass hier ein kosmisches Missgeschick am Werk ist, dass irgendwelche temporalen Anomalien daran schuld sind, dass die Bahn ein einziges Chaos ist. Ich würde euch gerne sagen, dass ihr Menschen nicht schuld daran seid – dass vielleicht ein paar verrückte Zeitmagier irgendwo ein Zeitparadoxon gebaut haben, das die Züge in Deutschland so unberechenbar macht.
Da dachte ich zwischenzeitlich wirklich, dass temporale Verschiebungen auf den Gleisen dafür sorgen, dass Züge einfach nicht pünktlich sein können. Etwas, das wie ein Muster aussieht, ist oft auch ein Muster. Immerhin machen die Tiez das ziemlich gerne – Loops bauen, die Zeit rückwärts laufen lassen und einfach ein wenig mit Zeitparadoxien spielen. Tiez eben. Dafür könnt ihr Menschen ja nichts, dachte ich.
Doch die Wahrheit ist leider eine andere.
Die Tiez waren noch nie auf diesem Planeten gewesen sein werden (korrekte Zeitreisegrammatik). Zumindest nicht, dass ich wüsste. Ihr seid es. Ihr allein seid schuld an diesem Chaos. Also nicht du allein, aber die, die ihr gewählt habt. Deren Interesse, Geld beisammen zuhalten, war mal wieder größer als der Wunsch, ein vernünftiges, barrierefreies, sicheres, pünktliches und bezahlbares Nah- und Fernverkehrssystem zu garantieren.
Niemand verlangt 100 % Pünktlichkeit. Vor allem nicht ich als ein Teewesen, von einem Planeten, der Tee einatmet und Gelassenheit ausatmet. Seltsame Dinge können passieren. Das ist okay. Aber bei der Bahn sind diese seltsamen Dinge, dass der Zug tatsächlich pünktlich ist.
Ihr schafft es, gigantische Raketen ins All zu schießen, ihr kommt dem Ursprung des Universums immer näher, ihr habt es geschafft, eure ganze Welt zu kartografieren und noch so viel Wundervolles mehr. Ihr habt es sogar geschafft, richtig guten Tee zu machen. Aber ihr scheitert daran, einen Zug pünktlich von Gleis 9a in einer Stadt zu Gleis 3 in einer anderen Stadt zu bringen? Meint ihr das wirklich ernst?
Selbst auf Fujcvin, einem Planeten, der nicht einmal Zeit als Einheit kennt, einem Planeten, auf dem zu spät kommen, nicht einmal auffällt, weil niemand eine Uhr hat, selbst dort fahren die Bahnen pünktlicher als in Deutschland.
Ich war einmal auf einem Mond. Ein wunderschöner Waldmond, der einen Gasriesen umkreist. Ich war echt überrascht, dass Raupen dort als Transportmittel genutzt werden. Niemand zähmt diese Raupen, aber sie fressen sich einfach durch den Wald [3]. Selbst mit diesen unvorhersehbaren Raupen bin ich pünktlicher, sicherer und entspannter von Raupen-Snackstartpunkt A zu Raupen-Snackstartpunkt B gekommen – und das, obwohl diese Raupen 90 % der Zeit einfach nur schlafen.
Ich verlange einfach Respekt vor meiner Zeit, nicht mehr und nicht weniger.
Ich verlange auch wirklich keine absolute Pünktlichkeit wie auf dem Planeten Tripo, dessen Bewohner, die Tripolori, alles KI-Wesen, so sehr auf Pünktlichkeit angewiesen sind, dass selbst Millisekunden zu spät kommen, das gesamte System in einen Traceback Error führen würden.
Warum sind eure Bahnen eigentlich nicht Fahrkartenlos? Warum zahlt die Gesellschaft nicht in einen Topf ein, aus dem dann jeder diese Bahnen nutzen kann? Ist es, weil ihr die Dörfer nicht vernünftig angeschlossen habt? Ist das eure Ausrede? Dann schließt die Dörfer an. Macht Autos überflüssig – ihr wollt eure Wirtschaft schützen? Habt ihr das auch gesagt, als Autos aufkamen und Pferde nicht mehr gebraucht wurden? Habt ihr? Na gut. Immerhin seid ihr konsequent. Aber immer noch seltsam.
Warum fahren keine Hyperloop-Züge einmal um die Welt von Berlin nach Berlin? Über Paris, Rom, London, New York, Los Angeles, Tokio, Seoul, Peking, Neu-Delhi, Raid, Istanbul und Warschau? Warum fährt kein Hyperloop von Stockholm nach Johannesburg? Ihr habt die Technologie, ihr habt die nötige Neugier, und ihr habt die Lust, die Welt zu verändern – ich weiß, dass ihr das habt. Ich habe mit so vielen Menschen gesprochen, die voller Träume und Ideen sind – Menschen, die darauf brennen, die Erde zu einem wundervollen Ort zu machen, manche sogar zu einem Teevorposten Nr. 1 – okay, zumindest ein Alien auf der Erde.
All das dauert zu lange? Dann fangt endlich an damit. Hätte man das vor 50 Jahren schon getan, dann wären wir heute fertig, und ich könnte meinen Tee in Osaka trinken und meine Pizza am Abend in Rom essen.
Die Erde ist ein wunderschöner Planet mitten im All mit so vielen wundervollen Orten und noch viel mehr atemberaubenden Dingen zu sehen und mit so vielen wundervollen Menschen. Also bitte – sorgt dafür, dass all diese wundervollen Menschen sich treffen können, dass sie alle diese atemberaubenden Orte sehen können, und bewahrt sie. Und nein, das schließt sich nicht aus.
Mein Zug ist zwar immer noch nicht angekommen, aber ich werde mal schauen, ob ich aus diesem Zug nicht doch noch ein Raumschiff machen kann, damit ich vielleicht doch noch pünktlich ankomme.
Da ich viel durch die Gegend fahre, wird dies vermutlich auch nicht der letzte Eintrag zum Thema Bahn gewesen sein. Vielleicht erzähle ich euch beim nächsten Mal von den wirklich abgefahrenen Transportmitteln im Universum.
Bis dahin suche ich aber erst mal einen Tee und den richtigen Bahnsteig.
Fußnote:
[1] ich hoffe, die Ironie ist rübergekommen - ich muss mich in der Menschensprache noch üben
[2] Das ist wirklich komplett wahr, auf meiner Platzkarte stand kein Platz
[3] Diese Raupen haben ein unglaublich weiches Fell, auf dem man fantastisch gut einschlafen kann.