Die Mandoline

Eine Geschichte über einen Musiker, der sich in einer kalten Nacht auf die Suche nach dem Klang seines Herzens begibt. Eine Mandoline, ein verrauchtes Wirtshaus und ein Hauch von Magie. Eine stille Geschichte über Glück und die Suche nach dem eigenen Klang.

Ich saß im "Tänzelnden Wildschwein“, eine kleine Hommage an eine alte Geschichte, und trank meine dritte Tasse Tee gerade leer. Das Wirtshaus war voll – wie immer in den Iden des Loedrin, kurz vor dem Fest des heiligen Keldian. Kalt, finster und Schneelos war es draußen. Drinnen jedoch roch es nach verbranntem Holz, altem Bier und einer vagen Ahnung von Zimt, die aus irgendeiner Ecke der Küche zu kommen schien. Ein paar Feuerkäfer labten sich am alten Kamin des Wirtshauses und die dicken Holzbalken des Raumes bogen sich leicht unter der schweren Last jahrhundertealter Geschichten. Überall brannten Wachskerzen, die das schummrige Licht noch unruhiger machten, als es ohnehin schon war.

Die Kellnerin schaute mich an. Ihre grünen Lippen bewegten sich, und ich sah, wie sie mir wortlos etwas sagte. Ich starrte sie weiter an, ihre schwungvollen Lippen formten erneut Worte, die ich nicht hörte. Dann riss ein kurzer Moment der lauten Stille ein Loch auf.

»Noch einen Tee?« fragte sie mich. Ich nickte stumm. Ihr Lächeln war das einzige in diesem Wirtshaus, das nicht nach abgestandenem Bier und vertanen Chancen roch. Manchmal fragte ich mich, ob es nur ein Teil ihrer Rolle war – ein Dienstlächeln, das sie so routiniert trug wie ihr abgenutztes Schürzenband. Oder ob es etwas anderes war. Sie zog weiter ihre rhythmischen Kreise durch das Wirtshaus, ein Tablett in der einen Hand, die andere wie ein Schiffssegel, das die Strömungen der taumelnden Gäste navigierte.

Ich sah die üblichen roten Gesichter, die im schwankenden Schein der Kerzen flackerten – große, schallende, bedeutungslose Lacher, die von immer neuen Runden abgestandenen Biers und viel zu lauten sinnfreien Gesprächen getragen wurden. Die Art von Wesen, die glauben, ein guter Abend bestehe vor allem darin, die eigene Stimme öfter und lauter zu hören als die der anderen. Ein Zwerg – ein besonders stämmiges Exemplar, das offenbar dachte, dass seine Bartlänge direkt proportional zu seinem Verstand war – ließ beim Torkeln sein Smartphone fallen. Er trat darauf, fluchte lautstark einen zwergischen Groll und trat dann beim Versuch, es wieder aufzuheben, auf seinen eigenen Bart und stürzte. Sein Fluchen ging im grölenden Gelächter seiner Begleiter unter. Ich zuckte wortlos mit den Schultern. Zwerge eben. Ich quittierte das mit einem breiten Schmunzeln und ließ meinen Blick weiter durch das Wirtshaus wandern.

Als sich meine Blicke mit Lurz, dem orkischen Betreiber des Ladens, trafen, nickte ich kurz. Er erhob sein halb volles Glas Wein auf mich. Zwischen uns bestand seit vielen Jahren eine Art von besonderer Freundschaft. Ich war einer seiner ersten Musiker hier im Wirtshaus gewesen. Er dankte mir meine achtjährige Treue mit kostenlosem Tee und der Möglichkeit, immer mal wieder singend meine Gitarre spielen zu können. So kam ich irgendwie über die Runden. Ich war nie besonders, aber auch nie nur Mittelmaß gewesen. Gerade gut genug, um die Aufmerksamkeit der Betrunkenen zu erhaschen, aber nicht gut genug, um jemals ein wirklicher Höhepunkt des Abends zu sein. Wenn der Pegel hoch genug war, reichte das Trinkgeld allemal. Und wenn nicht? Nun, dann gab es wenigstens kostenlosen Tee und einen Platz am warmen Kamin – was in diesen Tagen mehr war, als man von den meisten Freundschaften behaupten konnte. An diesem Abend wollte ich wieder ein Trinklied zum Besten geben, denn diese funktionieren, wen wundert es, am besten in einem Wirtshaus. So wie Lurz mich anschaute, würde es nicht mehr lange dauern, bis ich auf die Bühne durfte.

Meine Gedanken über meinen nächsten Auftritt wurden abrupt unterbrochen, als ich den Arm der Kellnerin sah, wie sie mir den Tee reichte. Ich schaute sie an und lächelte »Danke Nell«. Ich nahm die Tasse, der heiße Dampf stieg auf, benetzte mein Gesicht, und für einen Moment fühlte es sich an, als würde die Wärme durch meine kalten Gedanken brechen. Doch als ich einen großen Schluck nahm, verbrannte ich mir prompt die Zunge. Ich hustete leise und verfluchte meine eigene Ungeduld. »Das war’s«, schwor ich mir stumm. »Nie wieder.« Aber ich wusste, dass ich vermutlich morgen wieder hier sitzen und mir den Mund verbrennen würde. Gewohnheiten sind eben hartnäckig. Nell zog weiter ihre rhythmischen Kreise durch das alte Wirtshaus. Es wirkte beinah so, als wäre die Bühne in der Mitte ein kleiner unermüdlicher Planet, der sich in einer chaotischen Galaxie aus Betrunkenen drehte – und Nell war einer der kleinen Mond, die stumm, aber beständig ihre Bahnen zogen.

Dann versank ich wieder in Gedanken, ließ meinen Blick über die schwankenden Schatten tanzen, die das flackernde Kerzenlicht an die alten Holzbalken warf. Und da war er – dieser Gedanke, laut und klar, obwohl er wie aus dem Nichts kam. Glück. War ich glücklich? Vermutlich. Oder? Mein Leben war gut. Gut genug, um es nicht täglich infrage zu stellen. Aber trotzdem – irgendetwas trübte meinen Blick. Ein dumpfes, unbenennbares Gefühl, das sich wie Nebel in den Ecken meines Geistes festsetzte.

Es war, als würde ich in einem Raum voller Geschichten sitzen – Lachen und Gegröle überall um mich herum – und doch war da dieses leise, unangenehme Summen, ein kaum hörbares Dröhnen, das alles andere überlagerte. Ein Zerren, ein Flüstern, dass vielleicht doch etwas fehlte. Aber was? Warum diese Unruhe? Warum dieses nagende Gefühl, dass irgendwo in all dem Lachen und den Geschichten ein stiller, ungesungener Akkord lag? Ein Ton, der nie gespielt wurde.

Doch dann ertönte die Glocke und ich wurde aus meinen Gedanken gerissen und das Wirtshaus versank in einer seltsamen Stille, so als würd es kurz Luft holen, bevor es wieder Lachen und halbwahre Geschichten atmen würde. Ich hob den Blick. Lurz, hatte die kleine Bühne in der Mitten des Wirtshauses betreten. Ein beeindruckender Anblick – ein Berg aus Muskeln in einem feinen Anzug, der sich durch den dichten Rauch der vielen Pfeifen und Zigaretten schob wie ein Messer das durch ein Nebel schnitt.

Ein letzter Schluck Tee, ein letzter Atemzug. Unglück. Glück. Lücke. Mein Zeichen.

Ich sprang auf, riss meinen Gitarrenkoffer an mich, das Leder alt und abgegriffen, fast so vertraut wie eine zweite Haut. Ich legte mein bardischstes Lächeln auf, mein Dienstlächeln – ein geübtes, leicht gezwungenes Grinsen.

Ich betrat die Bühne. Lurz schüttelte mir die Hand, seine orkische Pranke umschloss meine wie ein Schraubstock. Er rief in die Menge, seine Stimme übertönte jedes Lachen, jedes Gespräch, jede klirrende Bierflasche:

»Heute Abend spielt wieder unser Freund …«

Für einen winzigen Moment schien die Welt stehenzubleiben. Die Gespräche, das Klirren der Flaschen, das Flackern der Kerzen – alles schien auf einmal stillzustehen. Mein Herzschlag pochte mir in den Ohren, ein dumpfer, unregelmäßiger Takt gegen die laute Stille. Ich spürte die Blicke der Menge – hunderte müde Augen, die alle mich anstarrten. Aber es fühlte sich heute Nacht irgendwie so an, als würden sie durch mich hindurchsehen. So als wäre ich nur ein Beobachter meiner selbst.

Ich stand hier schon hunderte Male, doch in diesem Augenblick war es, als würde der Boden unter meinen Füßen nachgeben. Als wäre ich nur ein Fremder in meinem eigenen Leben. Warum fühlte sich dieser Moment plötzlich so fremd an?

»… und er spielt heute Abend das Lied ‘Der Fall von Ildrien’!«

Das tosende Echo, das darauf folgte, ließ die alten Holzbalken über mir erzittern. Mein orkischer Freund legte mir schwer eine Hand auf die Schulter und wünschte mir Glück – ein kurzer, aber fester Griff, als wolle er mich daran erinnern, dass ich noch am Leben war. Ich setzte mich auf meinen Hocker in der Mitte der Bühne.

Ich legte meine Hände auf die Saiten, spürte das vertraute Ziehen der Metallstränge unter meinen Fingern. Einatmen. Ausatmen. Ich stimmte meine Gitarre, spielte die ersten Akkorde – und zwang mich zu meinem Dienstlächeln, das sich echt anfühlen sollte. Das Lied kam gut an, es war immerhin das beliebteste Trinklied in diesem Teil der Föderation. Ich sang jede der sieben Strophen und ließ die Menge den Refrain jedes Mal selbst singen:

Also hebet die Krüge, trinkt auf den Sieg,
auf die Klingen, die singen, wie der Thron bricht!
Auf jeden, der kämpfet, für die Föderation,
auf jeden, der steht, wenn der Morgen anbricht.

Als ich fertig war, roch ich den Schweiß der Menge. Der saure Atem abgestandenen Bieres, die süßliche Note von vergossenem Met – der muffige Geruch einer gut gelaunten Masse. Das Grölen lag mir in den Ohren, meine Gitarre verstummte. Die Menge sang noch einmal den Refrain, stolperte über die Worte, schrie sich selbst an – lauter, um nicht leiser zu werden.

Ich verbeugte mich. Der Schweiß lief mir in die Augen und in den Mund, brannte auf der Zunge. Bitter und salzig – wie viele zu hastig begangende Abschiede. War das Glück?

Lurz betrat die Bühne. Ein kurzer Handschlag. Braucht man das eine, um das andere zu spüren? Kann das eine ohne das andere existieren?
Er lachte mich an, schob mich zurück in die wogende Menge. Oder – war am Ende Unglück und Glück dasselbe?

Ich verließ die Bühne, das Tosen der Menge, nur noch ein dumpfer Klang in meinen Ohren, ein fernes, bedeutungsloses Echo. Nell reichte mir ein Handtuch und zwinkerte mir zu. Ich wischte mir den heißen, kalten Schweiß von der Stirn. Kann etwas nur kalt sein, wenn es auch Wärme gibt? Die Thermodynamik würde mir vermutlich zustimmen.

Lurz kam noch einmal auf mich zu, seine schwere Hand klopfte mir auf die Schulter, dann drückte er mir zwei Goldmark in die Hand – schwer, warm, kalt, bedeutungslos.

Eine Woche ohne Sorgen – dachte ich. Glück.

Ich verließ das Wirtshaus und trat in die kalte, bedeutungsleere Nacht. Es war dunkel. Nein, dunkel traf es nicht – es war finster. Als hätte sich alles Licht der Welt entschieden, lieber woanders zu sein. Ich konnte es dem Licht nicht einmal verdenken. Der Wind schnitt mir ins Gesicht, als wolle er mich daran erinnern, dass ich hier draußen fremd war.

Gedankenverloren setzte ich einen Fuß vor den anderen, meine Schritte hallten dumpf von den nassen Pflastersteinen wider. Kälte kroch mir in die Knochen, und ich zog meinen Mantel fester um mich. In der Ferne bellte ein Hund. Eine Tür knarrte irgendwo, dann wieder Stille.

Ich ging weiter, suchte in der klirrenden Kälte nach etwas Wärme, etwas Leben. Dann, plötzlich, ein Licht. Ein Schaufenster, hell und warm erleuchtet, ein einzelner, freundlicher Fleck in der Dunkelheit.

Neugierig trat ich näher.

»Instrumente des vylidrischen Greifens« stand in geschwungener, goldener Schrift über der Tür. Der Lack war abgeplatzt, aber die Buchstaben strahlten, als würden sie von innen leuchten.

In der Auslage glänzten kostspielige Gitarren, eine wie die andere perfekt lackiert und erschreckend langweilig. Ein seelenloses Durcheinander aus Ahorn, Mahagoni und Fichte. Glatt, makellos – aber irgendwie tot.

Schon wollte ich mich enttäuscht abwenden, als mein Blick ganz nach hinten wanderte – in eine dunkle Ecke. Erst erkannte ich es nicht, aber da stand sie.

Eine Mandoline.

Ich schnaubte. »Eine Mandoline?«, murmelte ich leise und lachte. »Was machst du denn hier?«

Mandolinen waren doch längst ausgestorben. Niemand spielte sie mehr. Nicht einmal ein paar verstaubte Barden, die ihre letzte Strophe längst gesungen hatten.

Warum war mir dieser Laden nie zuvor aufgefallen? War er neu? So sah er zumindest nicht aus. Ich schüttelte den Kopf und atmete schwer. Egal.

Halbblind trottete ich weiter durch die lichtleere Straße. Der Frost kroch mir immer tiefer in die Kleidung, biss sich durch die Stoffschichten wie eine hungrige Ratte, die nach jedem noch so kleinen Stück Wärme suchte.

Und doch – immer wieder drifteten meine Gedanken zurück zur Mandoline. Eine blasse Erinnerung an ein Instrument, das niemand mehr spielte. Wie ein Name, der einem auf der Zunge liegt, aber nicht ausgesprochen werden will. Den niemand mehr aussprechen kann, weil er fast verblast ist. Die Kälte wurde zur Stille. Ein ungespielter Ton, der in meinem Kopf widerhallte.

Ich schüttelte mich. Nein, nein. Genug damit.

Mehre Minuten ging ich gedankenlos weiter und hatte fast wieder meine Wohnung verpasst. »Wie kann das eigentlich immer wieder passieren?«, murmelte ich mir fragend selbst zu.

Ich öffnete die schwere Haustür, ging durch das Hinterhaus, erste kleine Tür rechts, Treppe hoch. Diese verdammte Treppe – es hörte sich so an, als würde man mit jeder Stufe auf eine kleine Katze treten.

Als ich die schwere Wohnungstür aufschloss, war es kurz nach drei in der Nacht. Ich stellte meinen Gitarrenkoffer leise ab und ging in die Küche um das Wasser für den Tee aufsetzen – ein Automatismus. Eine Bewegung, so eingebrannt wie das Zähneputzen.

Gedankenverloren ließ ich mich aufs Sofa fallen. »Eine Mandoline«, sagte ich noch einmal laut – und musste lachen. Was für ein idiotischer Gedanke. Wer zum neunten Höllenkreis spielt heute noch Mandoline? Wie wohl ihr Klang war?

Die erste Stille breitete sich langsam aus und wurde jäh durchbrochen vom zischenden Pfeifen des Teekessels. Ich sprang auf, goss das Wasser auf das Teesieb in meiner Lieblingstasse. Einige Tropfen trafen meine Hand, aber sie war noch so kalt von draußen, dass ich sie kaum spürte.

Die Mandoline.

Ich wartete kurz bis der Tee fertig war und trank. Zu heiß – natürlich. Wie immer. Ich musste fast lachen, weil mir in solchen Momenten meine eigene Dummheit immer bewusster wurde.

Ich legte mich zurück auf das Sofa, nahm mein Lieblingsbuch »Hy…« in die Hand blätterte darin herum, aber las keine Seite wirklich. Die Worte tanzten vor meinen Augen, formten sich zu vagen Schatten, die keinen Halt fanden. Ich war gar nicht hier. Ich war wieder vor dem Laden.

Die Mandoline.

Schließlich beschloss ich, meine Gedanken für heute ruhen zu lassen und ging ins Bett. Ich schloss die Augen, zwang mich zur Leere und als das nicht klappte, machte ich einen Podcast über fremde Welten an, einen der meine Gedanken zerstreuen sollte. Es dauerte lange. Zu lange. Meine Gedanken haben eine seltsame Art, sich in den Rissen der Stille meines Geistes festzubeißen, so als hätten sie Wurzeln geschlagen. Selbst der Podcast half nichts. Aber irgendwann – schlief ich Gedankenvoll ein. Traumlos.

Ich erwachte – und mein erster Gedanke war wieder diese götterverdammte Mandoline. Verdammt. Ich bin Gitarrenspieler. Kein Mandolinenspieler.
Und doch – was hatte dieses Instrument an sich, dass es mich nicht losließ?

Ich stand auf, ging ins Bad, ließ heißes Wasser über meinen Körper laufen. Die Tropfen klangen wie ein leises Flüstern.

Ich hörte die Mandoline.

Ich zog mich an, trank einen Tee, der heute besonders intensiv schmeckte.

Ich schmeckte die Mandoline.

Ich blickte aus dem Fenster, sah die ersten Sonnenstrahlen, die die vereisten Dächer der Stadt küssten, und musste lächeln – diesmal kein erzwungenes Lächeln.

Ich sah die Mandoline.

Ich zwang mich, an andere Dinge zu denken – aber alles klang wie eine einzelne, sanft vibrierende Saite, die einfach nicht verstummen wollte.

»Ihr Götter – da habt ihr es – verdammt nochmal«, murmelte ich gen Himmel, zog mich an, nahm meinen Gitarrenkoffer und verließ die Wohnung. Die Luft war klar, fast schneidend, und der Frost der Nacht verzog sich langsam. Die Sonne kitzelte mein Gesicht, und ich lächelte – ein seltener Moment, fast wie ein verlorener Akkord, den ich wiederfand. Ich atmete freudig aus – mein Atem kondensierte augenblicklich, ein flüchtiger Geist im kalten Morgen, der sich rasch auflöste, genau wie meine Entschlossenheit, die Mandoline zu vergessen.

Als ich ankam, war der Laden noch geschlossen. Erst in einer Stunde würde er öffnen. »Das mit dem Timing müssen wir noch üben«, sagte ich wieder gen Himmel und schüttelte den Kopf. Ein Atemwölkchen stieg vor meinem Gesicht auf und verschwand im kalten Morgen. Ich zuckte mit den Schultern.

Ich ging nervös ein paar Schritte auf und ab, dann setzte ich mich gegenüber auf eine kleine, leicht wackelnde Bank und holte meine Gitarre heraus. Meine Finger waren noch kalt, aber sie fanden die Saiten wie von selbst. Ich spielte ein paar Lieder, ließ die Gedanken schweifen, beobachtete die ersten Geschäfte, die ihre Läden öffneten. Ein vorbeilaufender Passant warf mir einen Eisenpenny hin. Ich nickte dankend, spielte weiter.

Die Mandoline.

Ein rundlicher Zwerg kam die Straße entlang. Seine Schritte waren schwer, sein Atem dampfte in der kalten Morgenluft. Als er den Laden aufschloss, sprang ich auf, verstaute meine Gitarre liebevoll und überquerte die Straße. Ich betrat den Laden. Eine Glocke erklang – ein Klang, der sich wie ein fernes Echo in meinen Gedanken verfing.

Der Zwerg sah mich an, zog eine buschige Augenbraue hoch. Sein Gesicht war voller Linien, jede davon eine Geschichte, die ich nicht kannte.

»Grüße zum Todian« sagte er fast fragend, seine Stimme tief wie das Brummen eines guten Basses.

»Möge die Flamme ewig brennen« erwiderte ich. Meine Stimme klang mir plötzlich fremd.

Er nickte, ein kaum merkliches Zucken seiner dichten, silbernen Brauen. Dann sah er mich lange an, als könnte er in mir lesen.

»Ich bin...« begann ich zu stottern, »... wegen der Mandoline hier.«

Ich deutete auf das Instrument in der dunklen Ecke, als gäbe es noch eine andere hier im Laden.

Dann nickte der Zwerg erneut. Seine kleinen, tiefen Augen schienen für einen Moment aufzuleuchten, wie Glut unter alter dicker Asche. So als hätte er gerade die Antwort auf eine schon lange vergessene Frage gehört. Ohne ein weiteres Wort verschwand er in den Schatten des Ladens, und seine Schritte hallten wie das Klopfen eines alten Herzschlags auf den knarzenden Dielen.

Als er zurückkam, trug er die Mandoline in seinen Händen, als würde er eine schlafende Kreatur aus einem langen Traum wecken. Er legte sie vorsichtig auf den Tresen, und in dem schwachen Licht des Ladens schien das dunkle Holz für einen Moment aufzuleuchten, wie ein stilles Gewässer, in dem sich die chaotischen Sterne spiegelten.

Das Holz war tiefschwarz, fast wie poliertes Ebenholz, aber an einigen Stellen schimmerte es in einem dunklen Blau, als hätte sich der Nachthimmel in seiner Maserung verfangen. Kleine, silberne Linien zogen sich wie Adern über den Korpus, kaum sichtbar, aber im richtigen Licht glommen sie auf, als würden uralte Runen flüstern.

Sie hatte acht Saiten, jede von ihnen leicht angelaufen, als hätten Jahrhunderte von Fingern sie berührt. Der Hals war rau, ein paar Stellen abgenutzt, die Lackierung blätterte leicht ab – und doch war sie schöner als jedes perfekt polierte, seelenlose Instrument, das ich je gesehen hatte.

Er legte seine schwere Hand auf die Mandoline, seine dicken Finger strichen kurz über die Saiten, ohne sie zum Klingen zu bringen. Er sah mich an, seine Augen schmal, seine Brauen zusammengezogen, als würde er versuchen, durch meine Augen hindurch auf meinen Geist zu blicken.

»Sie ist alt« sagte er schließlich, seine Stimme so rau wie polierter Stein. »Und sie hat viel gesehen. Mehr, als ich dir erzählen könnte. Und doch – sie hat auf dich gewartet. Vielleicht schon immer.«

»Aber sei gewarnt« fügte er hinzu, seine Stimme ein wenig leiser, fast wie ein Brummen in einer tiefen Höhle. »Solche Instrumente wählen ihre Spieler nicht leichtfertig. Sie nehmen – und sie geben. Aber nie, ohne einen Preis zu verlangen.«

»Einen Preis?«, fragte ich zögerlich.

Der alte Zwerg schaute kurz die Mandoline an, so als würde er ihr zuhören. Dann nickte er und schaute mich an. »Hingabe. Vollständige Hingabe.«

Ich musste kurz schlucken. Doch ich verstand. Ich legte meine Gitarre auf den Tresen. Sie war das kostbarste, was ich je besessen hatte. Ich wusste nicht, ob es Wahnsinn war oder ob ich einfach nur verrückt geworden bin. Dann sprach ich weiter, ohne selbst zu wissen, was ich sagen wollte.

»Diese Gitarre... sie ist nicht am rechten Platz. Sie ist nicht sie selbst.«

Der Zwerg lächelte, so als hätte er diese Antwort auf eine Frage die nie gestellt wurde schon lange erwartet.

Dann streichelte er noch einmal über die Mandoline und schloss den Koffer und gab ihn mir. »Du kannst Nachtschatten mitnehmen« sagte er. »Nachtschatten?« frage ich verduzt. »Nachtschatten« ich sagte es noch einmal langsam »Nacht-schatten - Ja natürlich«. Der Zwerg nickte und ging wieder in die Schatten des Ladens.

Die Glocke beim verlassen des Ladens klang nun irgendwie anders - näher - freundlicher.

Auf der Straße wurde es allmählich voller, und der Frost war fast gänzlich verschwunden.

Nachtschatten.

Ich ging schnellen Fußes nach Hause. Diesmal war ich nicht an meinem Haus vorbeigelaufen. Ich ging direkt zum Hinterhaus, erste Tür rechts, die Treppe hoch – diese verdammte Treppe, die sich immer anhörte, als würde man auf Katzen treten – und schloss meine schwere Wohnungstür auf.

Ich setzte mich auf mein Sofa, öffnete den Mandolinenkasten und sah erneut meine Mandoline. Meine. Ich fasste sie zögernd an, spürte das kühle und doch warme Holz unter meinen Fingern. Konnte kaum begreifen, was soeben passiert war.

Ich hatte meine Gitarre gegen eine Mandoline mit einem Namen eingetauscht. Ein Instrument, das in einer dunklen Ecke auf mich gewartet hatte, wie ein stummes Versprechen. Entweder war der Zwerg ein wahres Verkaufsgenie – oder ich war wirklich wahnsinnig geworden.

Ich holte sie aus dem Mandolinenkasten und strich über die acht Saiten. Sie erklangen hell und farbenfroh, als hätten die Saiten den Frost von meinen Fingern vertrieben. Mein Herz raste. Ich spielte ein altes Kinderlied: Sommer in Arkheim. Nachtschatten erfüllte den gesamten Raum mit hellen, sanften Klängen. Ich jauchzte leise, weil ich so etwas Schönes, so etwas Wunderschönes, noch nie gehört hatte.

Die nächsten Tage vergingen wie im Traum. Ich spielte durchgängig auf meiner Mandoline, vergaß das Essen und das Schlafen. Die Welt um mich herum verblasste, und mein kleines Apartment wurde zur Bühne, mein Herz zur Resonanzkammer. Irgendwann sank ich erschöpft und glücklich in mein Bett und schlief so ruhig wie schon lange nicht mehr.

Ich erwachte ausgeruht am nächsten Morgen. Ich sah auf meinen Wecker. Heute war der zweite Feiertag des heiligen Keldian. Heute hatte ich einen weiteren Auftritt im tänzelnden Wildschwein. Heute würde ich der Welt zum ersten Mal meine Mandoline zeigen.

Ich grinste und war freudig erregt. Ich machte mir ruhig und besonnen einen Tee zum Frühstück und briet mir ein paar Trakka-Eier in der Pfanne. Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal so ausgiebig gefrühstückt hatte. Dann roch ich eher ungewollt als gewollt an meinem T-Shirt. Irgh. Duschen war dringend nötig. Zum ersten Mal seit Tagen duschte ich wieder heiß. Der heiße Wasserstrahl meiner Dusche war so angenehm, dass ich gar nicht wusste wie sehr es mir gefehlt hatte, und so duschte ich ein paar Minuten länger als eigentlich notwendig.

Danach schaute ich zum ersten Mal seit Tagen wieder auf mein Smartphone: 42 neue Nachrichten. Ich nahm mir Zeit und beantwortete ein paar wichtige. Ich hatte noch genug Zeit bis zum Auftritt, also beschloss ich, noch einmal zu üben. Und so vertrieb ich mir die Zeit bis zum Abend,

Ich ging auf die Straße. Es war weitaus weniger kalt und finster als noch die Tage zuvor. Auf der Straße tummelten sich sogar noch einige Wesen. Doch ich beachtete sie kaum – meinen Mandolinenkasten fest umschlossen. Ich ging fast schwebend in Richtung des Wirtshauses. In Gedanken versunken flog ich die Straße entlang.

Ich dachte wieder an Unglück und Glück. So recht wollte mir das alles, was ich mir darüber erdachte, noch immer nicht passen. Leider ließen sich die Gedanken nicht so recht abschütteln. Doch als ich erneut von der Straße aufblickte, war ich bereits an meinem Ziel angekommen.

Ich schlug die Tür des Wirtshauses auf und ging hinein, direkt zu Lurz. Ich erzählte ihm, was ich vorhatte, und nannte ihm das Stück, das ich spielen wollte. Er schaute verdutzt und fragte, ob ich sicher sei. Ich war sicher. Ich nickte.

Was ich vorhatte, musste für ihn an Wahnsinn grenzen. Ich wollte das schwerste und komplizierteste Werk der bekannten Welten spielen – und das auf einer Mandoline. Auf Nachtschatten.

Er zuckte die Schultern. »Auf deine Verantwortung, mein Freund«, sagte er blass.

Ich setzte mich auf meinen Stammplatz und sah zu, wie das Wirtshaus immer voller wurde. Nell brachte mir in der Zwischenzeit zwei Tees, die ich gedankenversunken austrank. So müssen noch einige Stunden vergangen sein, und dann war es soweit.

Lurz ging auf die Bühne – und die Menge grölte.

»Sehr geehrtes Publikum! Meine lieben beschuppten und unbeschuppten Freunde! Heute wird unser Freund …« – ich atmete tief ein – »… etwas Ungewöhnliches wagen …« – ich atmete wieder aus – »… er wird das berüchtigtste Werk aller Zeiten spielen …« – ich atmete erneut tief ein – »… und das auf einer Mandoline …« – ich atmete aus – »… er spielt heute für uns: Der erste Regenbogen!«

Ein Raunen ging durch die Menge. Jeder kannte das Werk, doch nur wenige Wesen hatten es je live gehört. Selbst die besten elfischen und qudrillischen Spieler und Spielerinnen scheiterten regelmäßig an diesem Werk.

Der erste Regenbogen war ein Werk, das die meisten nur flüsternd erwähnten – ein Lied wie kein anderes. Es begann wie zwei Stimmen, die sich umeinander winden, mal einander suchen, mal einander verlieren, nur um schließlich zu einem einzigen Klang zu verschmelzen. Eine Melodie, die zuerst ein Streit, dann ein Tanz und am Ende ein stiller Einklang war.

Ich stand auf und ging zur Bühne. Lurz, immer noch blass, aber jetzt mit einem grimmigen Grinsen, schüttelte mir die Hand. Ein kurzes Nicken, ein Flackern in seinen Augen – dann verschwand er, ließ mich allein in der Stille der wartenden Menge.

Ich setzte mich auf meinen Hocker und legte die Mandoline auf meinen Schoß. Meine Finger suchten die Saiten, das Holz fühlte sich warm an – lebendig, fast wie ein zweites Herz, das unter meinen Händen schlug. Ich stimmte sie kurz – ein paar sanfte, fast scheue Töne, die sich wie kleine Wellen in den Raum tasteten – dann schloss ich die Augen und begann.

Die ersten Klänge durchbrachen die erste Stille, schwebten wie feiner Rauch durch den Raum. Dann kam die zweite Melodie, wie ein Flüstern, das sich um die erste Stimme schlang, sie neckte, sie forderte, sie umarmte. Ein zartes, helles Flüstern, das sich allmählich zu einer klaren, festen Stimme formte – und die zweite Stille zerschnitt.

Doch die dritte Stille – die schwerste, die tiefste – lag immer noch auf der Menge. Kein Räuspern, kein Murmeln. Nur meine Mandoline und das ferne Flackern der Kerzen, die Schatten wie unsichtbare Tänzer an die Wände warfen.

Ich öffnete meinen Mund.

Als die Schatten die Welt in Dunkelheit tauchten,
als das Licht in den Tiefen der Zeit ertrank,
als die Herzen der Völker vor Kälte schauerten,
und der Wind nur noch graue Stille sang –
Als die Klingen brachen und die Sterne verblassten,
und die Lieder verklangen im nebligen Grau,
als der Himmel sein Blau wie ein Versprechen verlor,
und die Erde nur noch ein Flüstern war –
Da trat eine Heldin aus dem Flüstern der Welten,
mit Narben im Herzen, doch Licht in der Brust,
an ihrer Seite ein stiller Gefährte,
eine Schildkröte mit uraltem Mut.
Mit Füßen so leise wie die Flügel des Windes,
mit einer Seele, die selbst die Zeit nicht bricht,
sie trug das Versprechen des Morgenrots in sich,
und das Lächeln der Sterne – leise und schlicht.

Und dann geschah es. Ein scharfer, trockener Klang – wie der Peitschenhieb eines Gottes der mir absolut nicht wohl gesonnen war. Eine Saite meiner Mandoline riss.

Für einen schrecklichen Moment schien die Zeit selbst den Atem anzuhalten. Ein flirrender Schmerz brannte über meiner Hand, doch ich spürte ihn nicht. Die dritte Stille drohte zu verschwinden.

Meine Hand zitterte. Ich sah das entsetzte Flackern in den Augen des Publikums – als hätte ich ihnen das Herz aus der Brust gerissen. Sekunden vergingen, dehnten sich zu Ewigkeiten.

Dann atmete ich ein. Ein tiefer, kalter Atemzug, der meine Lunge füllte und meine Hand wieder zur Ruhe brachte. Ich legte die Finger neu an und fühlte das Blut tropfen, umfasste die verbliebenen sieben Saiten und begann wieder zu spielen.

Und siehe da – die Melodie lebte noch. Nein, sie lebte mehr denn je. Sie erhob sich, zog die dritte Stille wieder hervor und schwebte empor, klar und unerschütterlich. Ein Lied auf sieben Saiten, reiner und wilder als je zuvor.

Und so sang ich weiter:

In ihr brannte noch immer die Teemagie,
ein leises Flüstern, das selbst Steine zum Blühen bringt,
sie zog durch die eisigen Panzerberge,
wo die Winde scharf atmen und die Steine träumen.
Doch die Feinde folgten ihr wie hungrige Wölfe,
doch sie hielt stand, ließ ihre Seele leuchten –
der erste Regenbogen in Freundschaft brach durch die Wolken,
es war der Anfang des Hoffnungsschimmers in schweren Zeiten

Das Lied war hier eigentlich zu Ende. Die letzten Strophen waren nie überliefert worden. Vielleicht war es genau das, was es so lebendig gehalten hatte – ein unvollendeter Gedanke, ein halber Traum, den jeder für sich selbst weitersingen konnte. Als ich die letzten Worte sang, schien der ganze Raum den Atem anzuhalten. Eine tiefe, bittersüße Stille legte sich über die Menge, als hätte die Melodie ein altes, lange vergessenes Fenster geöffnet, durch das die Traurigkeit leise hindurchwehte.

Doch dann – dann geschah es.

Ein Impuls. Ein Funke. Ein Gedanke, der sich durch meine Finger, mein Herz, meine Seele schlich. Worte formten sich auf meinen Lippen, noch bevor ich sie greifen konnte.

Ich sang weiter.

Denn die Teemagie war noch lange nicht verschwunden
aus ihr selbst hat sich der farbenfrohe Regenbogen entwunden
da stand sie – die Farbe in der grauen Welt,
doch auch in ihr begann es still zu flackern.

Es waren die letzten, nie gehörten Strophen. Die Worte kamen wie ein Rinnsal, dann wie ein Strom. Bilder, Erinnerungen, fremde und eigene Gedanken flossen durch mich hindurch. Es war, als hätte die Mandoline selbst begonnen, ihre Geschichte zu erzählen.

Ich spürte, wie die Saiten unter meinen Fingern zitterten, wie die Luft im Raum vibrierte, wie die Welt sich einen Herzschlag lang veränderte.

Und so sang ich – und die allerletzte unbekannte Strophe offenbarte sich mir.

Denn die triste Tristes kehrt immer zurück,
denn das Licht will stets neu erkämpft sein.
Doch mit Freunden an der Seite und Mut im Herzen,
ist D. nur ein fernen Schatten ohne Macht –
ist D. nur ein fernen Schatten ohne Macht –
dort wo der Regenbogen in deiner Brust erwacht.

Als ich die letzten, nie gehörten Worte sang, da begriff ich es. Endlich.
Ich hatte nicht Nachtschatten ausgesucht, sie hatte sich mir ausgesucht. Der Zwerg hatte recht. Ich gehörte ihr und sie gehörte mir. Wir gehörten einander.
Das ist Glück – ein Einklang, ein Miteinander, das keine Worte braucht.

Ich spürte es in jeder Faser meiner Seele: Egal, was passieren würde – wir würden füreinander da sein. Ob wir mit sechs, fünf, vier oder nur noch einer einzigen Saite spielen, ob wir klingen oder nur noch ein Echo sind – unsere Melodie würde weiterleben. Selbst wenn die letzte Saite reißt und wir nur noch auf dem nackten Holz trommeln, unsere Melodie wird klingen.

Denn wahre Musik entsteht nicht nur aus perfekten Tönen, sondern aus den Rissen, den Brüchen, den Narben. Sie ist ein Leuchtturm für alles, was lebt, alles, was träumt, alles, was liebt. Und selbst wenn wir am Ende zu Staub zerfallen – die Melodie wird weiterklingen.

In diesem Moment verstand ich: Ich war nicht mehr gebrochen. Nicht mehr halb. Nicht mehr unvollständig. Ich war ganz. Vollständig. Vollkommen.

Die letzten Akkorde verklangen, Nachtschatten verstummte. Ich saß da, die Finger noch auf den Saiten, meine Brust hob und senkte sich, mein Herzschlag pochte in meinen Ohren – als hätte die Zeit selbst aufgehört, sich zu bewegen. Für einen kurzen Moment fühlte es sich an, als hätte ich die Welt selbst zum Schweigen gebracht.

Dann kam die Stille. Eine Stille so tief, dass ich die eigene Blutbahn rauschen hörte, ein dumpfes Echo in meinem Kopf. Niemand wagte es, sich zu bewegen. Keine Bierkrüge, die aneinanderstießen, keine grölenden Trinksprüche – nur diese unbarmherzige, fordernde dritte Stille.

Ich hob den Kopf, sah in die Gesichter vor mir. Tränen, offener Mund, Hände, die in der Luft erstarrt waren – ein eingefrorener Augenblick.

Dann, langsam, fast zögerlich, setzte der erste Applaus ein. Erst ein einzelnes Klatschen, dann ein zweites. Dann brach es über mich herein wie ein Sturm, ein unaufhaltsames, donnerndes Rauschen. Eine Flut aus Geräuschen, die mich fast von meinem Hocker fegte.

Ich atmete ein, atmete aus. Spürte, wie sich meine Finger langsam von den Saiten lösten, wie die Kälte des Raumes zurückkehrte, sich auf meine Haut legte, die noch vom Spiel erhitzt war.

Lurz betrat die Bühne, legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich sah ihn an und er sah mich an, als hätte er gerade einen alten Freund wiedergesehen, den er längst verloren glaubte.

Er sagte nichts. Nickte nur. Ich nickte zurück. Der Lärm der Menge war nur noch ein dumpfes Dröhnen, ein ferner, verzerrter Klang, der sich wie ein Nebel um meinen Kopf legte.

Ich spürte die Wärme der Mandoline in meinen Händen, spürte die feinen Vibrationen, die noch in den Saiten nachhallten. Mein Herz schlug schneller, mein Atem ging flach – und doch fühlte ich mich so leicht wie seit Jahren nicht mehr. Dann blickte ich nach oben – und sah, wie sich ein winziger Regenbogen über der Bühne bildete.

Glück.

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